Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Richard Thompson – (Folk)Gigant auf kleiner Bühne 16.05.2025 Er steht, nur wenige Meter entfernt von mir, auf der Bühne im Anker. Eine Holzgitarre, zwei Hände und eine markante Stimme: Richard Thompson. Der Musiker ist eine englische Folk-Rock-Ikone, ein Ausnahmegitarrist und Mitbegründer von Englands meist-verehrter Folk-Rock-Legende Fairport Convention. Seine Art, Gitarre zu spielen, beeinflusste ganze Musiker-Generationen, sie lässt Liebhaber dieser Spielart ins Schwärmen geraten. Ihn wenigstens ein Mal live zu erleben, hatte ich mir schon lange erhofft, doch stets verpasst. Im Anker wird der Wunsch endlich Realität. Nur zuhören, nur genießen und Dankbarkeit spüren, hier dabei sein zu können. Giganten wie ihn kommt man nur noch selten so nah. Der Mann kann auf beeindruckende Lebens- und Musikstationen verweisen. Wegweisende Folk-Rock-Alben mit Fairport Convention, inklusive Sandy Denny. Weitere Einspielungen mit Linda Thompson, der damaligen Wegbegleiterin sowie ungezählte und einzigartige Solo-Platten. Seine Kollaborationen, wie „Morris On“ etwa, mag man gar nicht erst versuchen, aufzulisten. Diese Musik lernte ich Mitte der 1970er Jahre kennen und schnell auch schätzen. Ich mag sein markantes und virtuoses Gitarrenspiel sowie seine oft melancholisch und romantisch klingenden Songs, die gern auch bissige Lyrik transportiert und den Spiegel herumreicht. Die Songs lassen tief ins Innere des Künstlers blicken, sind ehrlich und machten ihn zuweilen auch verletzlich, wenn er sie in die Welt entließ. Thompson betritt, dunkel gekleidet, die dunkle Bühne, grüßt und beginnt, in typischer Art die Gitarrensaiten zu zupfen. Lockeres, filigranes, aber magisches Fingerspiel der rechten Hand sowie kraftvolle Stimme. Alles sehr spartanisch und ohne aufwendiges Drumherum. Mehr braucht er nicht, um eine vibrierende Klangwelt zu schaffen. Ich staune, wie er auf diese Weise ganz unterschiedliche Stimmungen lebendig werden lässt. Sein virtuoses Gitarrenspiel fasziniert mich vom ersten Moment an. Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand intonieren quasi die Rhythmusgruppe, also Bass und Percussion, während drei verbleibende Finger, völlig unabhängig davon, rasant schnell Melodien und Soli erzeugen, ohne dass seine Hände von den Augen geleitet würden. Ganz „nebenbei“ singt er auch noch. Jedem, der etwas vom Instrument versteht, bleibt die Spuke weg. Mit Klassikern und neuen Songs leitet er uns durch ein musikalisches Gesamtwerk, das andere nicht in zwei Leben erschaffen. Wir hören gleich zu Beginn u.a. „Genesis Hall“, einen Zeitkommentar aus frühen Fairport-Tagen, die typisch düstere Ballade „The Ghost Of You Walks“, den in Shanty-Klänge gekleideten ironischen Report „Johnny’s For Away“, über eine Kreuzfahrtreise und natürlich beißend aktuelle Sozialsatire („Pharaoh“). Zwischendurch plaudert er aber humorvoll über Jugend-Episoden, erlebt im Marquee-Club und den langen Weg nachts von da nach Hause („Walking The Long Miles Home“). Auch darin erkennt sich so mancher wieder und bei mir rasen derweil Jahrzehnte von Lebensjahren im Kopfkino vorüber. Richard Thompson wirkt auf mich wie ein Storyteller mit Gitarrenbegleitung. Er entdeckt Geschichten im Leben, mit denen er mich sowohl aus meinem Alltag, als auch Träumen reißt, mich in Herz in Seele berührt. Meine Augen sind feucht. Später bittet er auch seine Bühnenpartnerin und Ehefrau Zara Phillips auf die Bühne. Nun wird die Zeit mit Linda Thompson, seiner damaligen Partnerin, zeitweise lebendig. Das satirische „Hokey Pokey“ erinnert an jene kreativen Jahre, denen er mit „Singapore Sadie“ und „Old Pack Mule“ frische Songs aus dem aktuellen Album „Ship To Shore“ folgen lässt. Die glänzen ebenso, wie die alten Songperlen, sagt mir jedenfalls meine Wahrnehmung. Ich sitze mit meinen 75 Lenzen und mag kaum glauben, dass der Typ da vorn nur wenige Monate älter als ich, so agil, munter und, verdammt nochmal, so jugendlich, voll „im Saft“, wirkt, obgleich sein abschließendes „Wall Of Death“ eher düster daher kommt. Vom aktuellen „Hab-Mich-Lieb-Pop“ ist der Folk-Rock-Meister jedenfalls meilenweit entfernt. Bloß gut! Auf dieser Bühne paart er Lebenserfahrung und künstlerische Finesse, die jeden in die Arme nimmt, auch wenn diese Mischung zwischen Aufrütteln und Bestätigung nicht unbedingt zuckersüß, dafür aber voller Energie zum Auftanken ist. Nachdem er uns als Zugabe u. a. noch „Tinker’s Rhapsody“ und „I Want To See The Bright Lights Tonight“ schenkte, hätte ich ihm nach dem Konzert gern selbst noch meine Bewunderung ausgedrückt. Also warte ich später im fast leer gefegten Saal, um vielleicht die Chance und das Glück dafür zu erhaschen. Zwischen dem Bühnenausgang und wartendem Auto gibt er dann bereitwillig Autogramme (bei mir mit Klecks), aber zum Ansprechen fehlt mir dann der Mut. Ich bin derart emotional überladen, dass ich im Grunde froh bin, nach diesem Gefühlsschub einige Schritte bis zum Auto laufen zu müssen. Erst allmählich normalisiert sich mein Gefühlslevel wieder und dann muss ich lächeln: ein Harzstein von mir mit einem musikalische Symbol ist mit ihm in die Nacht und die Zukunft entschwunden. Ob sich unsere Wege noch einmal kreuzen werden? „Who Knows Where The Time Goes“ (Sandy Denny).